Samstag, 12. Juni 2010

THE 51st OR THE 27th STATE? – DAS ZÜNGLEIN AN DER EU-WAAGE

Ob die politische Trendwende, die die Wahl des neuen Parlaments in Großbritannien herbeigeführt hat, á la long auch eine tiefgreifende Wende der politischen Kultur – wie vom neuen Premier, David Cameron, gerne proklamiert – mit sich bringen wird, darf angesichts seines Backgrounds leider bezweifelt werden. Obwohl der Inselstaat zu jenen Ländern zählt, die als erste 1973 den Gründungsstaaten auf dem Weg in die EU folgten, tut er sich seit jeher mit einem klaren Zugehörigkeitsbekenntnis zur Union schwer. Vielmehr fühlt man sich abseits des Kontinents schon immer eher den Vereinigten Staaten verbunden – ein Verhalten, das zweifelsohne in der tiefen Vernetzung der Geschichte der beiden Länder begründet liegt.

Der ehemalige Mutterstaat – das Königreich – fühlt sich dadurch, dass die kulturelle Identität der amerikanischen Bevölkerung auf eine Vielzahl von britischen Flüchtlingen und Auswanderern in ihrer Gründungsgeschichte zurückgeht, noch immer den USA verpflichtet. Was die Briten aber noch immer gerne nostalgisch als eine Verbindung zwischen Kolonialherren und ihren Kolonialstaaten zu deuten verstehen, hat sich im Laufe der Jahre aber doch in etwas sehr Gegenteiliges gekehrt – eine Entwicklung, die die Briten zwar nicht ganz verschlafen haben, aber doch immer wieder verdrängt oder ignoriert, um vor sich selbst und der Welt den Verlust der Position als Weltmacht nicht eingestehen zu müssen. Dass die USA in dieser Funktion gerade in jüngerer Zeit das ehemalige Mutterland an der kurzen Leine gehalten und sich damit zunutze gemacht haben, hat Großbritannien nicht zuletzt seiner schwachen außenpolitischen Positionierung durch Tony Blair und Gordon Brown zu verdanken. Die beiden vorangegangenen Premiers haben klar aufgezeigt, dass ihre Loyalität eher den USA gilt als der Europäischen Union, was sich mitunter fatal auf globale Entscheidungen ausgewirkt hat – Stichwort Irakkrieg, Lissabon-Vertrag. Dass seine erste Auslandsreise den neuen britischen Außenminister, William Hague, nach Washington geführt hat, zeigt klar auf, dass auch der neue Premier vorerst nicht daran denkt, sein Land stärker mit der EU zu verknüpfen, sondern nach wie vor verzweifelt um die Gunst des großen Bruders buhlt. Dieser ist aber schon längst nicht mehr auf den Inselstaat und seine mittlerweile geschwundene Militärmacht angewiesen. Unter dem neuen Präsidenten, Barack Obama, ist eine Fokus-Verlagerung zu beobachten – er will sein Land nicht mehr als Militärmacht, sondern als Wirtschaftsmacht positionieren und sucht aus diesem Grund verstärkt Beziehungen zum asiatischen Raum, insbesondere China.

Dieses Der-Vergangenheit-verhaftet-Bleiben schwächt aber nicht nur Großbritannien, sondern auch die EU – dieses filigrane Netzwerk von Staaten, die sich an sich schon so schwer tun zu verstehen, dass nur ein gemeinsamer Weg sie voranbringen und am globalen Wirtschaftsmarkt zu einem konkurrenzfähigen Partner der Mächte USA, China und später auch Indien machen wird. Die Wirtschaftskrise hat deutlich aufgezeigt, dass jetzt – mehr denn je – ein Ziehen an einem Strang die klare Devise für die EU-Staaten sein muss. Die EU muss, will sie ihre Vorstellungen von einem gemeinsamen, starken Wirtgschaftsraum nicht an den Nagel hängen, bald konkrete Vorschläge bringen, wie nationale Interessen sich unter einem EU-Schirm vereinbaren lassen. Darauf hat die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, erst jüngst anlässlich der Verleihung des Karlspreises an den polnischen Ministerpräsidenten, Donald Tusk, hingewiesen, als sie das Scheitern des Euros mit dem Scheitern der europäischen Idee gleichsetzte. Der Euro-Rettungschirm – wenn auch heftig umstritten – war eine der ersten Maßnahmen, bei der durch EU-weiten Konsens eine schnelle Entscheidung herbeigeführt wurde, ohne monatelang ergebnislos herumzudiskutieren. Es scheint, als wäre der euopäische Gedanke noch nie so sehr an einem seidenen Faden gehangen wie jetzt. Gleichzeitig hat die gegenwärtige Krise mit ihrer Forderung nach schnellen und tiefgreifenden Entscheidungen aufgezeigt, dass jetzt erstmals eine echte Chance für ein Zusammenwachsen der EU-Staaten im Raum steht. Es wird dafür allerdings noch mehrerer solcher unbequemer Entscheidungen bedürfen, bei denen alle Mitgliedstaaten an einem Strang ziehen müssen, um das labile Konstrukt EU auf Dauer zu stärken und Europa geeint aus der Krise zu führen.

Erste Schritte in diese Richtung wurden unlängst mit einer Einigung für eine bessere Regulierung von Hedgefonds erzielt, der alle 27 EU-Finanzminister zugestimmt haben – und der sich auch der konservative britische Schatzkanzler, George Osborne, schließlich zu fügen hatte. Dass dies ein Schritt ist, der einen klaren Einschnitt für London als Börsenstandort bedeutet, ist offensichtlich. Dass die konservative Regierung Großbritanniens mit dieser Vorgangsweise der EU nicht einverstanden ist, ebenfalls. Ist der Inselstaat also angesichts der neuen Stärke der Union, die vom Merkozy-Pärchen (Merkel/Sarkozy) an ihrer Spitze ausgeht, kleinlaut geworden? Oder hat man doch endlich verstanden, dass man sich in solchen Entscheidungen nicht mehr auf den ehemaligen Partner USA verlassen kann?

Premier David Cameron ist sich der schwierigen Lage, der er sich mit seinem neuen Kabinett zu stellen hat, bewusst. Er weiß, dass das britische Volk eine Fortsetzung von Browns Kurs nicht goutieren wird. Die Frage bleibt, was seine Alternative sein wird. Mit Nick Clegg als liberalem Vize eröffnen sich zweifelsohne interessante Optionen. Und tatsächlich regelt die neue Koalition zwischen den konservativen Tories und den Liberaldemokraten auch die Richtlinien im Bezug auf den Kurs, den man fortan gegenüber der EU einschlagen will. So ist da eingangs gleich zu lesen: „We agree that the British Government will be a positive participant in the European Union, playing a strong and positive role with our partners, with the goal of ensuring that all the nations of Europe are equipped to face the challenges of the 21st century: global competitiveness, global warming and global poverty.”

Im gleichen Atemzug versteift man sich aber auf Volksabstimmungen, sollte eine Kompetenzabtretung nach Brüssel im Raum stehen und betont die Souveränität des eigenen Parlaments. Ganz klar ist also auch die neue britische Regierung noch nicht bereit für eine echte Eingliederung in die Europäische Union, die – gerade in Krisenzeiten wie jetzt – auch eine Hintanstellung der nationalen Interessen hinter die europäischen bedingen würde, um eine starke Union zu bilden. Gleichzeitig zeichnet sich das Führungsduo, das die Briten mit Cameron und Clegg auserkoren haben, letztlich gerade in EU-Fragen doch durch sehr gegensätzliche Ansichten aus. Während der Liberaldemokrat Nick Clegg als überzeugter Europäer auch einen Beitritt zur Eurozone befürworten würde, gilt der neue Premierminister, David Cameron, als EU-Skeptiker, der schon im Wahlkampf damit geworben hat, keine weitere Zugeständnisse an die EU machen zu wollen.

Statt längst vergangenen Zeiten nachzuhängen, wäre es aber endlich an der Zeit zu erkennen, dass Großbritannien mit seinem EU-Beitritt ein klares Bekenntnis zu einer Union unterschrieben hat, deren Bestrebungen zu Einheit es unterstützen sollte. In der neuen britischen Regierung sitzt mit Nick Clegg endlich ein Mann, der dies erkannt zu haben scheint und bereit ist, seinem Land, gemeinsam mit der EU, zu neuer Stärke zu verhelfen. Schon in Richtung David Camerons ließ er verlauten: „Wir wollen in Europa führen, und nicht am Rand sitzen.“ Unterstützung könnte ihm dabei vielleicht vom neuen Europa-Staatssekretär, dem gemäßigten Tory David Lidington, zukommen, dessen Wahl in Insider-Kreisen als Zugeständnis an die EU-freundlichen Liberaldemokraten gilt.

Tatsächlich könnte sich Großbritannien aufgrund seines wichtigen Finanzstandortes London und seiner nach wie vor sehr freundschaftlichen Beziehungen zu den USA – gemeinsam mit Deutschland und Frankreich – in der EU zu einer tonangebenden Nation mausern und somit seiner Rolle im globalen Machtspiel wieder deutlich mehr Gewicht verleihen. Dazu bedürfte es aber eines Abschließens mit der Vergangenheit, eines Anerkennes der derzeitigen globalen Machtverhältnisse und der Bereitschaft, aus der gegenwärtigen Situation Profit zu schlagen – und das sollte doch durchaus im Eigeninteresse der britischen Regierung liegen! Wie groß Cleggs Handlungsspielraum dabei aber sein wird und ob der konservative Cameron bereit ist, den Kurs zu einer starken, geeinten EU, wie ihn Angela Merkel und der französische Präsident, Nicolas Sarkozy, wünschen, mitzugehen und damit auch eine neue – von den USA losgelöste – Zukunft für Großbritannien zu schaffen, bleibt mehr als fraglich.

1 Kommentar:

  1. Sehr gute Einsichten! Gute Meinung! Ach würden Politiker doch nur so klar sehen können.

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